Das Problem des Ja-Sagens – du kannst nicht jeden Kundenwunsch erfüllen

verfasst von Andreas

19. August 2024

Holger Oberborbeck war eine Sales-Person der alten Schule. Die Knigge-Regeln hatte er komplett eingeatmet und zu seiner eigenen Persönlichkeit entwickelt. Holger Oberborbeck war genau die Person, die der Drunken Monkey GmbH noch fehlte, um mit ihrem Kassensystem „Lord Order“ auch in der Sparte der edlen Gourmetrestaurants Fuß zu fassen. Mit einem wie Holger Oberborbeck würden sie auch den anspruchsvollsten Gourmetgastronom von den Vorzügen von „Lord Order“ zu überzeugen. So hatte sich das der CEO Maxim Riefenstahl jedenfalls vorher ausgemalt. Aber es sollte alles ganz anders kommen.

Holger Oberborbecks erster Deal sollte nicht ein kleiner Fisch werden. So ein kleines Michelin-Restaurant in Friesland braucht er nicht zum Warmlaufen. Nein, unterhalb der obersten Schublade fängt ein Holger Oberborbeck gar nicht an. Und die oberste Schublade war die Gourmet-Restaurantkette „Der goldene Pelikan“, die zu dem Zeitpunkt über dreißig Filialen in Deutschland, Österreich und meine Damen und Herren, halten Sie sich fest, auch in der Schweiz betrieben. Siegessicher fuhr er zur Firmenzentrale nach Rotenburg ob der Tauber. Und tatsächlich konnte er sich eine vorläufige Zusage des CEOs des goldenen Pelikan Berthold Schnugge sichern. Die direkte Zusage war nur an eine scheinbar kleine Bedingung geknüpft. Berthold Schnugge berichtete Holger von einer Kuriosität, die sich in den Restaurants des goldenen Pelikans zugetragen hatte.

„Unsere Menüs verwöhnen die Gäste, hier erhalten wir in der Regel auch hervorragendes Feedback unserer Gäste. Da unsere Gäste aber bei jedem Besuch eine neue Geschmacksexplosion erwarten, ändern sich auch unsere Menüs immer wieder. Allerdings tut sich unser Service schwer dem passionierten Weintrinker die passende Auswahl an Weinen zu empfehlen. Stellen Sie sich vor, da wurde doch zu einem gebratenen Rehrücken in raffinierter Preiselbeer-Limonen-Soße und Thymian-Quetschkartoffeln mal ein 2018er Napa Valley Merlot empfohlen, obwohl doch jedes Kind weiß, das zu dem Gericht ein 2017er Batuta aus Portugal oder ein 2018er Chateau aus der Provence viel passender wäre (der Autor gibt offen zu, dass er von Weinen keine Ahnung hat und sich hier irgendwas aus den Fingern zieht). Solche falschen Empfehlungen sind ein wahres Verbrechen an unseren Gerichten. Wenn hier das Kassensystem dem Service direkt die passende Weinauswahl zuflüstern würde, würden wir die Zufriedenheit unserer Gäste auf das allerhöchste Niveau heben. Und nichts anderes ist unser Anspruch. Dem Anspruch muss auch ihr Kassensystem gerecht werden!“

Nicht ohne Grund hatte sich Holger Oberborbeck das „Der Kunde ist König“-Mantra dick auf den Rücken tätowiert. Er lebte für jeden Kundenwunsch. Und auch hier meinte er, dass es eine gute Idee ist, dem Kunden direkt eine Zusage für das gewünschte Feature in Aussicht zu stellen.

„Natürlich ist es unser Anspruch mit unserem Kassensystem Ihren Ansprüchen gerecht zu werden. Ich bin zwar noch nicht lange Teil der Drunken Monkeys aber ich bin mir sehr sicher, dass es unseren Entwicklern ein wahres Fest sein wird, dieses Feature einzubauen. Ihr Wunsch ist unser Auftrag. Es ist uns eine Freude, wenn wir mit unserer Software dabei unterstützen, Ihren Gästen den passenden Wein zu empfehlen.“

 

Berthold Schnugge war natürlich begeistert, dass er eine Firma gefunden hatte, die scheinbar bereit war, all seine Wünsche zu erfüllen. Wenn dieses Feature Teil der Lösung sein würde, wäre er direkt bereit all seine Kassensysteme durch „Lord Order“ zu ersetzen. Diese Reaktion euphorisierte Holger Oberborbeck. Direkt in seinen ersten Tagen einen großen Deal vor Augen. Er hatte es mal wieder geschafft. Und es war so einfach. Einfach nur dem Kunden zuhören und zu seinen Wünschen „ja“ sagen. Holger freute sich schon auf die Reaktion von Maxim bei den Drunken Monkeys, weil er diesen dicken Fisch nach Hause brachte. Er malte sich aus wie Maxim vor versammelter Mannschaft ein Loblied auf ihn anstimmt und ihn den Rest des Tages auf Händen tragen lässt. Aber das Echo, das ihn erwartete, ließ ihn brutal auf den Boden der Tatsachen aufschlagen.

„DU HAST IHM ZUGESAGT, DASS WIR EIN FEATURE BAUEN, NUR WEIL ER ES SCHEINBAR BRAUCHT??! WIR SIND DOCH KEINE 08/15-WALD-UND-WIESEN-AGENTUR, HOLGER! WAS IST DENN NUR LOS MIT DIR?! WILLST DU UNS RUINIEREN? HAT DICH DIE KONKURRENZ BEI UNS EINGESCHLEUST?!“

Maxim war außer sich vor Empörung. Natürlich wollte er seine Marktanteile im Segment der feinen Gourmetgastronomen ausbauen. Aber nicht um jeden Preis. Früher hätte Maxim seiner impulsiven Art in so einem Moment noch freie Bahn gelassen. Eine fristlose Kündigung samt Hasstirade wären hier für Maxim das logische Mittel der Wahl gewesen. Aber Maxim hatte in der Vergangenheit gelernt, dass es der allgemeinen Arbeitsatmosphäre zuträglich ist, wenn man nicht jede Entscheidung aus der Emotion heraus trifft. Seinem Therapeuten war er dankbar, dass er ihm ein paar Tipps auf den Weg gegeben hatte, wie er in solchen stressigen Situationen, wenn seine Stirnader kurz vorm Platzen war, wieder herunterkommen konnte. Und so schnappte sich Maxim seine Notfall-Papiertüte und atmete zehn Mal ein und aus. Wie von Zauberhand war die Last der schier unbändigen Wut von seinen Schultern genommen und er war in der Lage Berthold seine Kritik wie ein normaler Mensch vorzutragen.

„Tut mir leid, Holger. Da sind die Pferde mit mir durchgegangen. Das war aber auch ein fieser Trigger, der mich in eine Zeit zurückkatapultiert hat, die ich längst verdrängt hatte. Eine Zeit, in der ich ganz ähnlich getickt habe. Ich wollte auch alles bauen. Jede Idee direkt in die Umsetzung bringen. Es lebt sich auch so schön. Wenn man zu allem ja sagt, ist erstmal jeder Kunde happy. Aber wir können nicht alles bauen. Ich bin glücklich, dass uns irgendwann unsere Produktmanagerin Lotta über den Weg gelaufen ist. Sie hat mir den Zahn gezogen jeden Kundenwunsch nachzuäffen oder jede Vision bauen zu wollen. Das geht am Ende nur nach hinten los und die Kunden werden enttäuscht, schlicht weil wir Dinge versprochen haben, die wir nicht liefern können. Und die vielleicht auch gar nicht so wichtig für uns sind.“

Holger war total perplex, er musste sich erstmal sammeln. Das wollte er auch nicht einfach so auf sich sitzen lassen. Er wedelte mit dem dicken Fisch und musste sich erstmal eine verbale Tracht Prügel abholen. Dabei hatte ihm doch der Chef des goldenen Pelikan sehr klar zu verstehen gegeben, dass es ohne das Feature der Weinempfehlung keinen Deal geben würde. Das musste doch auch Maxim verstehen. Also blies er zum Gegenangriff.

„Maxim, bei allem Respekt. Aber der werte Herr Schnugge vom goldenen Pelikan hat sehr deutlich zu verstehen gegeben, dass er ohne dieses Feature nicht bereit ist seinen bisherigen Anbieter zu wechseln. Ich hatte den Eindruck gewonnen, dass wir auf unsere Data Science-Expertise im Unternehmen sehr stolz sind. Vor dem Hintergrund dessen vertrete ich immer noch die Annahme, dass es für uns ein Leichtes ist, diesen Wunsch des Kunden zu erfüllen. Bitte stell dir nur mal vor, welch Glanz der goldene Pelikan auf unsere Homepage bringen würde, wenn wir dieses formschöne Logo als Referenz präsentieren könnten. Der goldene Pelikan ist der Schlüssel, um in der kompletten deutschen Gourmetbranche zum Platzhirsch aufzusteigen!“

„Holger, es ist super, dass du eine neue Idee für ein Feature mitgebracht hast. Die Ideen brauchen wir. Aber wir verzetteln uns total, wenn wir jeden Tag dem Hahn hinterherlaufen, der am lautesten kräht. Und selbst wenn unsere Data Scientisten mit Vollgas entwickeln, wären wir so auf einem ganz miesen Schlingerkurs unterwegs, der uns irgendwann aus der Kurve fliegen lässt. Weißt du was wir brauchen, Holger?“

„Mehr Entwickler! Mehr Data Scientisten! Dann sollten wir das doch bauen können“. Holgers Augen glänzten. Noch wollte er die Hoffnung nicht aufgeben, dass es doch eine Möglichkeit gab, das Feature für den goldenen Pelikan zu bauen. Aber Maxim rollte nur mit den Augen.

„Nein Holger, ganz weit daneben. Was wir brauchen ist F-O-K-U-S. Fokus, Holger, Fokus! Fokus, Fokus und falls es noch nicht angekommen ist, Fokus!“

„Ja, das meine ich doch. Fokus auf den Deal mit dem goldenen Pelikan! Wir verlieren ihn, wenn wir das nicht bauen!“

„Holger, HÖR JETZT AUF! Ich habe jetzt keine Zeit und keine Geduld dir zu erklären, warum wir das nicht direkt bauen können. Aber bitte vereinbare einen Termin mit Lotta. Sie wird dir hoffentlich alles erklären können. Ich bin mir sicher, dass du unseren Weg danach besser verstehst. Und ich bin mir sicher, dass du danach genug Argumente hast, um den goldenen Pelikan von unserer Lösung zu überzeugen. Auch ohne dieses Weinempfehlungszeug.“

Holger musste einsehen, dass er bei Maxim auf Granit biss. Er war zu dem Zeitpunkt noch überhaupt nicht davon überzeugt, dass Lotta mit ihrem Produktmanagement-Voodoo seinen Wunsch ablehnen konnte. Vielmehr war er sich sicher, dass Lotta auch einsehen würde, dass das Feature umgehend gebaut werden muss. Und wenn er Lotta überzeugt hatte, dann würde auch Maxims Abwehrhaltung wie ein Kartenhaus in sich zusammenbrechen. Und dann würde er auch einsehen, dass er Holger nicht mit Schimpf und Schande übergießen sollte, sondern ihm schon jetzt zum Vertriebler des Jahres, wenn nicht gar des Jahrzehnts erklären sollte.

Das Ausrufezeichen durfte in keiner von Holgers Mails fehlen. Natürlich war jedes seiner Anliegen dringend. Es ging schließlich immer darum mit einem seiner Deals das Unternehmen mit Euros zu fluten. Daher gab er auch Lotta zu verstehen, dass er dringend mit ihr über den goldenen Pelikan und das Feature, von dem alles abhing, sprechen musste.

Er hatte tatsächlich Glück, dass Lotta sich bereiterklärte, direkt am nächsten Tag eine Stunde Zeit für sein Anliegen zu nehmen.

Und diese Stunde sollte Holgers Leben als Sales-Person nachhaltig verändern. Das Meeting mit dem goldenen Pelikan sollte das letzte Sales-Gespräch sein, bei dem er einfach blindwütig „ja“ zu jedem Kundenwunsch sagt. Lotta hatte es tatsächlich geschafft, ihn davon zu überzeugen, hier eine 180-Grad-Drehung zu vollziehen. Aber wie war ihr das nur gelungen?

Im nächsten Beitrag erfährst du wie Holger alles versucht die Produktmanagerin Lotta von seiner Idee für den „Goldenen Pelikan“ zu überzeugen. 

 

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